Liam Gillick
Deutscher Pavillon
53. Esposizione Internazionale d'Arte
La Biennale di Venezia 2009
Wie würden Sie sich verhalten?
Eine Küchenkatze spricht
How are you going to behave?
A kitchen cat speaks
Über ein Jahr lang hat Liam Gillick sein Projekt für den Deutschen Pavillon der Biennale in
Venedig entwickelt. Er unternahm Reisen und recherchierte, stets im Dialog mit Nicolaus
Schafhausen dem Kurator der Ausstellung. Ein intensiver Gebrauch von Computermodellen
des Pavillons und die eingehende Beschäftigung mti dem Gebäude vor Ort führten Gillick
schließlich zu Fragen, die sich um Modelle sozialen Verhaltens und um die Entstehung und
Problematik neuer Umgangsformen an ideologisch aufgeladenen Orten drehen.
Einige ausschlaggebende Komponenten der Ausstellung legte der Künstler erst in den letzten
Tagen des Ausstellungsaufbaus fest. Der erste Schritt des Arbeitsprozesses war die
Auflage einer Edition: Er realisierte den 1957 von Arnold Bode entworfenen Umbauplan für
den Deutschen Pavillon als Architekturmodell.Für die Ausstellung wird der Pavillon weder verdunkelt noch verdeckt. Das Gebäude bleibt von außen und von innen sichtbar. Im Zuge jüngster Instandhaltungsmaßnahmen wurden die Außenwände weiß gestrichen. Gillick behielt diesen Anstrich bei. Ein einfacher, von ihm selbst entworfener Tisch mit Sitzbank für die Mitarbeiter, die den Pavillon während der Ausstellungsdauer betreuen, befindet sich im Außenbereich. Alle Innenräume sind geöffnet und zugänglich, kein Gebäudeteil wurde abgesperrt oder verschlossen, etwa um Lagerraum zu gewinnen.
Wie Vorhänge gegen Fliegen markieren bunte Plastikstreifen den Eingang und die beiden Notausgänge des Pavillons. Für den Innenraum hat Gillick eine küchenartige Struktur aus einfachem Tannenholz entworfen. Ohne Vorrichtungen ist diese “Küche” eine Art Diagramm aus Modernitätsbestreben und Funktionalität. Sie fungiert zudem als Echo des angewandten Modernismus. Dieser steht im Gegensatz zu der Erhabenheit des Pavillons, der ohne sanitäre Anlagen, Küche oder Ruhezone gebaut wurde. Die Küchenkabinette besetzen die Übergänge vom zentralen in die seitlichen Räume. Die Küche steht in Spannung zur Logik des Gebäudes. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass sie ein Vermächtnis des funktionalen Modernismus ist, und die Aufgabe übernimmt, gegen die Ideologie der Pavillon- Architektur zu arbeiten.
Liam Gillick hat sein tägliches Arbeitsumfeld – seine Küche, die er als improvisiertes Studio nutzt – in den Deutschen Pavillon übertragen. Nach monatelangem Arbeiten in seiner eigenen Küche, umschlichen von der Katze seines Sohnes, beschäftigte er sich mit den Fragen „Wer spricht? Wer spricht mit wem und mit welcher Berechtigung?”, während die Katze stets versuchte, seine Arbeit zu unterbrechen.
Nach der wiederholten Besichtigung von Margarete Schütte-Lihotzkys „Frankfurter Küche” im Museum für Angewandte Kunst in Wien – schon immer ein wichtiger Markierungspunkt von angewandtem Modernismus in Gillicks Praxis – suchte er nach einer Antwort auf die Frage, wer seine für Venedig gebaute Küche bewohnen sollte. Gillick hat für die Ausstellung gemeinsam mit seinem Produktionsteam in Berlin unter der Leitung von Thomas Huesmann eine elektronisch gesteuerte Katze hergestellt, die auf den Küchenmöbeln sitzt. Sie kämpft gegen das Echo im Gebäudeinneren an und erzählt uns eine sich im Kreis drehende Geschichte von Fehldarstellungen, Missverständnissen und Wünschen.
Damit wird der Pavillon ein Ort für eine unendliche, sich ihrer selbst bewussten und um sich selbst kreisende Geschichte. Die Katze ist in der Küche, die Kinder sind in der Küche.
„Ich mag sie nicht”, wird der Junge sagen.
„Ich mag sie nicht”, wird das Mädchen sagen.
„Ich mag euch nicht”, wird die Katze denken.
Die von Liam Gillick gestaltete Publikation (erschienen bei Sternberg Press) mit einem Vorwort von Nicolaus Schafhausen enthält eine vollständige Version seines Vortrags, den er im Vorfeld der Biennale in Berlin, Frankfurt und Köln gehalten hat, den von der Katze gesprochenen Text und eine ausführliche Bilddokumentation der Ausstellung im Deutschen Pavillon. Das Bode-Modell des Pavillons (Aluminium eloxiert, 26 x 30 x 12 cm) erscheint in einer limitierten Auflage von 25 Stück und ist zum Preis von € 5.000,00 erhältlich. Jedes Exemplar erscheint mit Echtheitszertifikat, vom Künstler signiert und datiert. Zur Bestellung oder für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte: info@deutscher-pavillon.org
Im Oktober 2009 wird Liam Gillick mit einer Einzelausstellung im Museum of Contemporary Art in Chicago und im Österreichischen Museum für Angewandte Kunst/Gegenwartskunst in Wien vertreten sein. Für April 2010 bereitet er eine Einzelausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vor.
Im Juni 2009 erscheinen zwei neue Publikationen:
Liam Gillick, All Books, Book Works, London Meaning Liam Gillick, MIT Press, Cambridge/London
Die Ausstellung im Deutschen Pavillon entsteht im Auftrag des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland und wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) realisiert. Hauptsponsor ist HUGO BOSS. Weitere Partner sind das Goethe-Institut, AXA Art Versicherung AG und Witte de With Center for Contemporary Art, Medienpartner ist die Deutsche Welle TV.
A KITCHEN CAT SPEAKS
Liam Gillick
There will be a cat that can speak. All the people of the town will be very
proud of their speaking cat.People will come every day to hear what it has to say.
It will be very cynical but never mean.
It will see everything and understand it all.
After a while people will only come on the weekends or drop by on the way home from work or school.
During quiet times people will come and read all the newspapers to the cat or surf the Internet and find good stories about world affairs that might be of interest.
One morning it will rain.
Things will have been very quiet in the world and the cat will have nothing to say. You might even think that the cat will be mildly depressed. A young boy and girl will come to see the cat on the way to school. This kind of thing will make the cat nervous.
It will be sophisticated but it will betray its feelings through movements of its tail. The cat will like a degree of order. It will call this “natural order” – something that will imply that people can be trusted to do the right thing.
And coming to see the cat on the way to school will not always be the right thing to do because it will mean that the children will be late.
But as we will find out, the cat will be mildly depressed, suffering from ennui and even bored by its role as the only talking cat in the whole world.
The cat will want to know what is going on.
Only by feeding it information will it be wise, interesting or even funny. But on this day it will have no new stories.
It will hope that the children look on Google News or even Le Monde Diplomatique and feed its surprisingly agile brain.
But the children will just stand in the doorway. They will be slightly scared of the talking cat.
Something about it will make them nervous.
Something deep down in their psyche will know that there is evil in this building.
But they will like it when the cat coughs.
They will find it very sweet when the cat laughs.
But if the cat cries they will have nightmares for days – nasty nightmares that they won’t be able to control and that will come at the worst times.
Nightmares that will wake them up and make them think of machines in deserts doing terrible things.
So the children will just stand in the doorway.
Not moving.
And the cat will stay stuck on the top of the kitchen cabinets.
The cat will not speak.
The children will not speak.
The cat will be in the kitchen.
And the children will be in the kitchen.
To break the deadlock the cat will cough and shift its head.
It will speak but unlike other cats, it will no longer smile.
“Well, what are you doing here?”
The cat will say.
It won’t have spoken for a few days and whenever that happens it will have lost its accent and clarity and will have begun to speak with a cat accent.
The children will hear something like,
“Wheel waa aaa yew doo eng eer?”
They will move closer. Hoping to hear more clearly.
“What did it say?” the girl will say to the boy...
“Something about wheels and danger,” the boy will say.
“I don’t think it did.” The girl will say…
The cat will try to smile, but it will just screw up its face into an ugly grimace.
“I don’t like it,” the boy will say.
“I don’t like it,” the girl will say.
“I don’t like you,” the cat will think.
“Please come and tell me something,” the cat will say.
The boy and the girl will move even closer.
They will be curious to touch the cat’s fur and find out if it likes to be stroked. Once it starts to speak people will respect it more than love it.
But they will all stop touching the cat.
There will have been a point when it had been touched and loved and played with.
But now all people will want to know is its position on the history of totalitarian architecture or the restriction of credit within the context of failed models of globalization.
On this particular morning, after all this rain and all this mild depression the cat will feel its catness flooding back.
It will want someone to read to it but more than that it will want these children to play with it.
The boy will hold out his hand towards the girl.
She will take it in hers.
They will walk very slowly up to the cat.
“Good morning speaking cat,” the girl will say, because she will be quite brave during complicated social situations.
“Morning,” the cat will say, trying hard now to win back its voice and speak as clearly as a human.
“If it’s not too much trouble,” the cat will say, “you could update me on world affairs. I would love it if you looked through some Internet news aggregators for me.”
The children will look confused. They won’t know what an aggregator is.
This cat will have become a little pretentious over time.
“We were hoping you might tell us something,” the boy will say.
“We have no school today,” the girl will lie.
The boy will look nervous.
The cat will be wise and will know the school schedules.
The cat will know that school starts in five minutes and the children will definitely be late.
But today of all days, it won’t care.
It won’t mind if the children miss out on their lessons or their playtime.
It won’t care if they miss lunch or free-time in the library.
All it will care about is that someone is here on a dark day in a dark building. It will sniff.
The breath of the children will be close.
It will have learnt that humans know that cats steal their breath.
The cat will know that this is nonsense.
It is buildings like this that steal people’s breath.
Anyway. What’s wrong with borrowing some child’s breath for a while? All cats know that it smells sweet and is full of intelligence and goodness and fun.
It will take a deep surreptitious suck of the children’s breath and as they reel and swoon, glide and dream it will begin to tell them a true story about the wisdom of a kitchen cat…
EINE KÜCHENKATZE SPRICHT
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UN GATTO DA CUCINA PARLA, Liam Gillick
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